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#Amok – Wie die Verbreitung von Fake News über die Mannheimer Tat auf X, WhatsApp & TikTok Emotionen entfacht und Vorurteile verstärkt

Autor:innen: Franziska Oehmer-Pedrazzi & Stefano Pedrazzi


Bild: Das Bild zeigt einen Post der Mannheimer Polizei auf X: «FAKE NEWS im Umlauf [...] Wir fordern dazu auf, diese Falschinfos nicht weiter zu teilen»
Bild: Das Bild zeigt einen Post der Mannheimer Polizei auf X: «FAKE NEWS im Umlauf [...] Wir fordern dazu auf, diese Falschinfos nicht weiter zu teilen»

Kurz nach dem Vorfall am Rosenmontag in Mannheim, bei dem ein Auto in einen Fasnachtsmarkt raste, verbreiteten sich in sozialen Medien bereits vermeintliche Informationen über den Täter. Er soll 1,70 Meter groß sein, einen Bart tragen und einen dunklen Hauttyp haben. Diese Angaben werden binnen kürzester Zeit tausendfach geteilt, gelikt und in Kommentaren als erneuter Beweis für eine gescheiterte Migrationspolitik angeführt. Schnell zeigt sich: Die Informationen zum Täter entbehren jeglicher Grundlage – es sind Fake News.



Damit steht die Tat von Mannheim illustrativ für die in der Forschung bereits identifizierten Verbreitungs- und Wirkmechanismen von Desinformation.


Wer setzt Desinformation in die Welt und weshalb?

Verbreitet werden Desinformationen meist aus politisch-ideologischen oder auch ökonomischen Gründen. Studien zeigen, dass insbesondere im Vorfeld von Wahlen falsche und irreführende Informationen kursieren, um den Wahlausgang im präferierten Sinne – meist in Richtung populistischer Parteien - zu beeinflussen (Bradshaw & Howard, 2017). Auch die Destabilisierung demokratischer Gesellschaften kann als Motiv für die Verbreitung von Desinformationen angeführt werden.


Gründe für die schnelle Verbreitung

Desinformationen entfalten jedoch nur ihre Wirkmacht, wenn sie auch eine entsprechend grosse Reichweite erzielen. Die Posts über den Täter aus Mannheim verbreiteten sich in Windeseile. Dafür können verschiedene Faktoren ausgemacht werden:

Desinformationen, die dem eigenen Weltbild entsprechen, treffen auf besonders fruchtbaren Boden. Wer ohnehin schon skeptisch gegenüber Migration eingestellt ist, nimmt eine Täterbeschreibung, die einen Migrationshintergrund nahelegt, leichter als richtig an. In der Forschung wird diese Neigung, Informationen eher zu glauben, wenn sie die eigenen Überzeugungen bestätigen, unter dem Begriff „Confirmation Bias“ diskutiert. Hinzu kommt die emotionale Intensität solcher Ereignisse: Tragische Vorfälle rufen starke Gefühle wie Angst und Wut hervor, wodurch Menschen besonders empfänglich für einfache Erklärungen und Schuldzuweisungen sind. Der Mannheimer Fall fügt sich zudem auch nahtlos in eine Reihe von ähnlich gearteten Taten in Magdeburg und München ein, deren Täter meist einen Migrationsstatus aufwiesen. Hier ebenfalls beim Täter einen Migrationshintergrund zu vermuten, wäre also nahe liegend. Ein weiterer Verstärkungsfaktor ist die Funktionsweise sozialer Medien selbst. Plattformen wie Facebook, X und TikTok sind darauf ausgelegt, Inhalte mit hoher Interaktionsrate priorisiert auszuspielen. Emotionale und polarisierende Beiträge erzielen dabei besonders viele Likes, was zur Folge hat, dass Fake News oft eine größere Reichweite erzielen als faktenbasierte Berichterstattung. Ein Forscherteam (Vosoughi et al., 2018) konnte bereits 2018 zeigen, dass sich Fake News auf Twitter (heute X) sechs Mal schneller verbreiten als vertrauenswürdige Inhalte.


Folgen der Verbreitung

Die Konsequenzen sind weitreichend. Einerseits können sie gesellschaftliche Spannungen verstärken und bestehende Vorurteile zementieren. Andererseits untergraben sie das Vertrauen in Medien und Institutionen, wenn Menschen immer häufiger den Eindruck gewinnen, offizielle Stellen würden wichtige Informationen zurückhalten oder manipulieren – auch wenn sie es in Fakt gar nicht tun. Besonders problematisch ist, dass sich einmal etablierte Falschinformationen nur schwer korrigieren lassen (Ecker et al., 2022). Der sogenannte Wahrheitseffekt beschreibt das Phänomen, dass Menschen eine Aussage umso eher für wahr halten, je häufiger sie ihr begegnen – unabhängig davon, ob sie ursprünglich als falsch entlarvt wurde. In der Forschung wird dies als „illusory truth effect“ analysiert (Vellani et al., 2023).

Kurzfristig können hier das Richtigstellen der irreführenden Information, Debunking, genannt, oder auch das Entlarven der politischen oder ökonomischen Interessen der Quelle der Desinformation helfen (Ecker et al., 2024) Wirksam gegen die Verbreitung von Desinformation hilft nachhaltig vor allem Bildung und Medienkompetenz.




Quellen

Bradshaw, S., & Howard, P. N. (2017). "The global organization of social media disinformation campaigns." Journal of International Affairs, 71(1.5), 23-32.


Ecker, U. K. H., Lewandowsky, S., Cook, J., Schmid, P., Fazio, L. K., Brashier, N., Kendeou, P., Vraga, E. K., & Amazeen, M. A. (2022). The psychological drivers of misinformation belief and its resistance to correction. Nature Reviews Psychology, 1(1), 13–29. https://doi.org/10.1038/s44159-021-00006-y


Ecker, U. K., Prike, T., Paver, A. B., Scott, R. J., & Swire-Thompson, B. (2024). Don’t believe them! Reducing misinformation influence through source discreditation. Cognitive Research: Principles and Implications, 9(1), 52. https://doi.org/10.1186/s41235-024-00581-7.

Vellani, V., Zheng, S., Ercelik, D., & Sharot, T. (2023). The illusory truth effect leads to the spread of misinformation. Cognition, 236, 105421. https://doi.org/10.1016/j.cognition.2023.105421


Vosoughi, S., Roy, D., & Aral, S. (2018). "The spread of true and false news online." Science, 359(6380), 1146-1151.


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