Ein Interview mit Dr. Sabrina H. Kessler, Kommunikationswissenschaftlerin an der Universität Zürich zu falschen und irreführenden Informationen im Netz.
Autor:in: Franziska Oehmer-Pedrazzi

Eine Sonderauswertung der aktuellen PISA-Studie zeigt: Schülerinnen und Schüler in Deutschland, Österreich und der Schweiz haben Schwierigkeiten, die Qualität von Nachrichten im Internet zu beurteilen. Fake News und Deep Fakes bleiben daher für viele junge Menschen schwer erkennbar. Mit generativer Künstlicher Intelligenz (KI), die falsche Informationen noch effektiver erstellen und verbreiten kann, steigt gleichzeitig auch das Risiko, mit falschen und täuschenden Informationen konfrontiert zu werden. Wir haben Dr. Sabrina H. Kessler, Kommunikationswissenschaftlerin an der Universität Zürich, gefragt, wie sich Desinformationen erkennen lassen, welche Folgen sie haben und wie man sich schützen kann.
Gefahren von Desinformation
MILEVA INSTITUT: Frau Dr. Kessler, warum sind Fake News und Desinformationen heute eine so grosse Herausforderung?
Sabrina Kessler: Fake News und andere Formen der Desinformation gab es schon seit Menschengedenken. Mit den neuen Technologien haben sie jedoch eine neue Qualität und Quantität erreicht: Soziale Medien ermöglichen es prinzipiell jedem oder jeder sich - auch mit falschen und verzerrenden Informationen – zu Wort zu melden. Dabei begünstigen die Algorithmen meist auch solche Informationen, die emotionalisieren, denn diese erzielen hohe Interaktionsrate wie Likes, Shares oder Kommentare. Das sind in der Regel nicht die sachlichen Informationen. Mit generartiver KI kommt nun noch eine weitere Dimension hinzu: Sie kreieren in Sekundenschnelle falsche Informationen und verbreiten sie nahezu unbegrenzt. Denn anders als menschliche Nutzende brauchen sie keine Pausen und können tausende Dinge gleichzeitig erledigen.
MILEVA INSTITUT: Was macht Desinformationen so gefährlich?
Sabrina Kessler: Sie können gesellschaftliche Spaltungen vertiefen, politische Prozesse beeinflussen und das Vertrauen in etablierte Medien und Wissenschaft untergraben. Studien zeigen, dass Desinformationen oft tief im Gedächtnis verankert bleiben und nur schwer korrigiert werden können – selbst wenn später richtige Informationen bereitgestellt werden.
KI und Desinformation
MILEVA INSTITUT: Welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz bei der Verbreitung von Desinformation?
Sabrina Kessler: KI kann Desinformation auf verschiedene Weise beeinflussen: Einerseits können KI-Modelle wie ChatGPT oder Deepfake-Generatoren gezielt falsche Inhalte in grossen Mengen und mit hoher Qualität produzieren. Das erhöht die Gefahr, dass manipulierte Inhalte glaubwürdig wirken. Andererseits gibt es auch KI-gestützte Lösungen zur Erkennung und Bekämpfung von Desinformation, etwa durch automatisierte Faktenchecks oder Markierungen von Falschinformationen. Generative KI ist damit Teil des Problems und der Lösung.
Massnahmen gegen Desinformation
MILEVA INSTITUT: Welche Massnahmen können helfen, sich gegen Fake News und Deepfakes zu schützen?
Sabrina Kessler: Ein wichtiger Ansatz ist die Förderung von Medien- und KI-Kompetenz. Dazu sollten Menschen lernen, sich aus mehreren qualitativen Quellen zu informieren, Quellen kritisch zu hinterfragen und Anzeichen für Desinformation zu erkennen. Dazu gehören etwa emotionale Sprache, fehlende Quellenangaben oder reisserische Überschriften. Auch Präventivmassnahmen wie Prebunking – also das frühzeitige Aufklären über gängige Desinformationsstrategien – haben sich als wirksam erwiesen. Zusätzlich könnten Plattformen strengere Regeln zur Kennzeichnung von KI-generierten Inhalten umsetzen.
MILEVA INSTITUT: Welche Verantwortung tragen soziale Medien und politische Akteur:innen in diesem Kontext?
Sabrina Kessler: Plattformbetreiber:innen können sicherstellen, dass Desinformation nicht durch ihre Algorithmen verstärkt wird. Dazu gehören auch Faktenchecks, Warnhinweise oder die Einschränkung der Reichweite von Falschmeldungen. Gleichzeitig kann es sinnvoll sein, (stärkere) politische Massnahmen zur Regulierung von desinformierenden KI-generierten Inhalten einzuführen und den Qualitätsjournalismus zu fördern.
MILEVA INSTITUT: Gibt es Hoffnung, dass wir die Auswirkungen von Desinformation eindämmen können?
Sabrina Kessler: Ja, aber es erfordert eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung. Bildung, Regulierung, technologische Lösungen sowie Medien- und Journalismusförderung sollten Hand in Hand gehen. Wenn Menschen besser verstehen, wie Desinformation und (generative) KI funktioniert, KI-gestützte Faktenchecks weiterentwickelt werden und soziale Plattformen in die Verantwortung genommen werden, kann dies dazu beitragen, dass wir besser geschützt sind. Es bleibt eine Herausforderung, aber auch eine Chance, den digitalen Raum sicherer zu machen.

Vielen Dank für das Gespräch!
Handout
Dr. Sabrina H. Kessler hat am 16.01.2025 einen Vortrag mit anschliessender Diskussion im Rahmen der MILEVA-Veranstaltungsserie „Brot & Bytes“ gehalten. Das Handout zum Vortrag ist hier abrufbar
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