Emojis – Pfirsich, Protest und Provokation
- Franziska Oehmer-Pedrazzi
- 7. Sept.
- 3 Min. Lesezeit
Autor:in: Franziska Oehmer-Pedrazzi & Stefano Pedrazzi

Auf den ersten Blick wirkt das Wassermelonen-Emoji 🍉 wie ein harmloser Hinweis auf Sommer oder ein kühles Getränk. Doch in politischen Kontexten hat es eine weitreichendere Bedeutung: Es ist zu einem globalen Symbol der Solidarität mit Palästina geworden. Hintergrund ist das Verbot der palästinensischen Flagge in verschiedenen Kontexten – die vier Farben Rot, Weiss, Grün und Schwarz finden sich jedoch auch in der Wassermelone wieder. Aktivistinnen und Aktivisten nutzen das Emoji daher, um ein politisches Bekenntnis abzugeben und gleichzeitig digitale Zensurmechanismen zu umgehen.
Diese Instrumentalisierung alltäglicher Symbole verweist auf ein grösseres Phänomen: Emojis sind längst nicht mehr nur dekoratives Beiwerk digitaler Kommunikation, sondern fungieren als kulturelle Marker und politische Werkzeuge. Ein Blick zurück verdeutlicht dies: Schon 2019 griffen Unterstützerinnen und Unterstützer des Impeachment-Verfahrens gegen Donald Trump zum Pfirsich-Emoji 🍑 – ein visuelles Wortspiel, das den juristischen Begriff „impeachment“ ins Bild übersetzte (The Washington Post, 2019).
Von Emoticons zu Emojis
Die Geschichte beginnt jedoch weit vor Wassermelone und Pfirsich. 1982 schlug der Informatiker Scott Fahlman die ersten Emoticons vor – :-) und :-( –, um Missverständnisse in digitalen Nachrichten zu vermeiden. Doch diese Tastaturkürzel waren limitiert: Mit wenigen Zeichen liess sich Emotion nur grob andeuten.
Der entscheidende Schritt kam Ende der 1990er-Jahre aus Japan: Shigetaka Kurita entwickelte die ersten Emojis – kleine, farbige Piktogramme, die deutlich differenzierter Gefühle und Situationen ausdrücken konnten. Während Emoticons eher technische Notlösungen waren, etablierten sich Emojis als eigene Bildsprache (Chen et al., 2024).
Bis 2015 hatten sich Emojis bereits weltweit durchgesetzt. In jenem Jahr wählte das Oxford Dictionary das „Face with Tears of Joy“ 😂 zum „Word of the Year“ – eine symbolische Anerkennung, dass Emojis längst Teil unserer Alltagssprache sind.
Funktionen von Emojis
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Emojis weit mehr leisten, als Nachrichten zu verzieren. Sie schaffen eine entspannte Gesprächsatmosphäre, fördern positive Beziehungen und verringern Missverständnisse. Auch physiologische Experimente belegen ihre Wirkung: Lesende reagieren emotional stärker und lächeln häufiger, wenn Nachrichten mit Emojis versehen sind, als wenn sie allein im Text stehen (Thompson et al., 2016).
Unterschiede nach Alter und Kultur
Forschungen zeigen: Alter, Geschlecht und kultureller Hintergrund beeinflussen massgeblich, wie Emojis verstanden werden (Chen et al., 2024). So nutzen jüngere Menschen den Totenkopf 💀 nicht als Symbol des Todes, sondern als Synonym für „sich totlachen“. In China wiederum wird das lachende Gesicht 😀 häufig sarkastisch eingesetzt – eine ganz andere Konnotation als im Westen. Auch technische Unterschiede spielen eine Rolle: Ein Emoji, das auf einem iPhone freundlich wirkt, kann auf einem Android-Gerät kühl oder gar spöttisch erscheinen.
Wenn Emojis politisch oder extremistisch werden
Neben humorvollen oder missverständlichen Bedeutungen gibt es auch problematische Formen des Emoji-Einsatzes. Rechtsextreme und verschwörungsideologische Gruppen nutzen Emojis gezielt, um Zensur zu umgehen oder Botschaften subtil zu verschlüsseln.
Zwei Blitze ⚡⚡ stehen für die SS, ein winkendes Emoji ✋ oder 🫡 wird als digitaler Hitlergruss interpretiert, und die Kombination von Teufel 😈 und Davidstern ✡️ dient der antisemitischen Diffamierung. Auf Plattformen wie TikTok entstehen sogenannte „Emoji-Kaskaden“: Unter Videos, die sich mit Opfern des Holocaust beschäftigen, posten Nutzerinnen und Nutzer massenhaft Lach-Emojis – ein Akt digitaler Relativierung und Verhöhnung historischer Gewalt.
Emoji Forensics: Vor Gericht
Die Mehrdeutigkeit von Emojis sorgt auch in der Rechtsprechung für neue Herausforderungen. Seit 2015 steigt die Zahl der Gerichtsverfahren, in denen Emojis als Beweismittel herangezogen werden – von Cybermobbing über Belästigung bis hin zu Morddrohungen (Danesi, 2021). Doch wie interpretiert man eine Nachricht, die eine Drohung enthält, aber gleichzeitig mit einem 😉 oder 😜 versehen ist? Handelt es sich um eine Bagatelle, einen Scherz – oder doch um ernst gemeinte Gewaltandrohung? Die sogenannte „Emoji Forensics“ versucht, Antworten zu finden und die kleinen Symbole in juristische Kontexte einzuordnen.
Vom Protest-Pfirsich 🍑 bis zur rechten Hetze ⚡
Ob 🍉 als digitale Flagge, 🍑 als Impeachment-Wortspiel oder 💀 als jugendlicher Slang – Emojis sind längst mehr als Dekoration. Sie sind Ausdruck von Kultur, Politik und Gesellschaft. Sie können Brücken schlagen, Missverständnisse erzeugen oder gezielt für Hass und Propaganda missbraucht werden.
Quellen
Chen Y, Yang X, Howman H, Filik R (2024) Individual differences in emoji comprehension: Gender, age, and culture. PLoS ONE 19(2): e0297379. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0297379
Danesi, M. (2021). The law and emojis: Emoji forensics. International Journal for the Semiotics of Law, 34(4), 1117–1139. https://doi.org/10.1007/s11196-021-09854-6
The Washington Post. (2019, September 30). How the sexy peach emoji joined the resistance. https://www.washingtonpost.com/lifestyle/style/how-the-sexy-peach-emoji-joined-the-resistance/2019/09/30/4b0d292e-e142-11e9-be96-6adb81821e90_story.html
Thompson, D., Mackenzie, I. G., Leuthold, H., & Filik, R. (2016). Emotional responses to irony and emoticons in written language: Evidence from EDA and facial EMG. Psychophysiology, 53(7), 1054–1062. https://doi.org/10.1111/psyp.12642
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