Sharenting – Kinderfotos, Klicks und Konsequenzen
- Franziska Oehmer-Pedrazzi
- 26. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 3 Tagen
Autor:in: Franziska Oehmer-Pedrazzi & Stefano Pedrazzi

Sommerferien – das bedeutet für viele Familien Sonne, Auszeit und unzählige Fotomotive: Die ersten Schritte im Sand, das bunte Glacé am See, das schiefe Lächeln mit Zahnlücke vor dem Zelt. Solche Momente landen heute nicht mehr nur im Familienalbum, sondern häufig auch auf Instagram, Facebook und Co. Eltern teilen diese Augenblicke – oft in bester Absicht – mit ihrer digitalen Community. Doch was harmlos wirkt, birgt tiefgreifende Risiken.
Was ist Sharenting?
Der Begriff Sharenting – eine Wortschöpfung aus Sharing und Parenting – beschreibt das Verhalten von Eltern, Inhalte über ihre Kinder in sozialen Medien zu veröffentlichen (Tosuntaş & Griffiths, 2024). Dazu gehören Fotos, Videos oder Alltagsgeschichten. Während der Begriff anfangs primär auf das Veröffentlichen von Kinderbildern abzielte, umfasst er heute eine Vielzahl digitaler Praktiken rund um elterliche Kommunikation im Netz.
Sharenting ist dabei längst kein Nischenthema mehr, sondern ein normalisierter Bestandteil des digitalen Elternseins. Besonders in westlichen Ländern gehört das Teilen kindlicher Lebensrealitäten für viele Eltern zum Alltag. Eine US-amerikanische Umfrage von Security.org (2021) unter 1000 Eltern ergab, dass rund 77 % der Befragten Inhalte über ihre Kinder online stellen – oftmals unter Verwendung des echten Namens. Dabei holen weniger als ein Viertel der Eltern vorab die Zustimmung ihrer Kinder ein, etwa 29 % verzichten sogar vollständig auf eine solche Einwilligung. Die zunehmende Verfügbarkeit digitaler Tools und Plattformen hat Sharenting zusätzlich befeuert. Während der COVID-19-Pandemie wurde das digitale Teilen kindlicher Momente gar zu einer Art Brücke in Zeiten sozialer Distanz – und bekam so eine neue Bedeutung innerhalb familiärer Beziehungen (Tosuntaş & Griffiths, 2024).
Zwischen Feiertagen und Familienalltag
Was wird geteilt? Meist sind es Höhepunkte im Leben der Kinder: Geburtstagsfeiern, Urlaube oder erste Schultage (Kopecky et al., 2020). Diese Einblicke zeigen nicht nur die Kinder, sondern oft auch eine idealisierte Version des Elternseins – kuratiert, gefiltert und eingebettet in persönliche Erzählungen.
Warum Eltern teilen
Die Motive für Sharenting sind vielfältig. Manche Eltern sehen im Posten eine kreative Ausdrucksform oder ein digitales Tagebuch. Andere nutzen es zur Reflexion ihrer Elternschaft, zum Austausch mit Gleichgesinnten oder gar zur Monetarisierung ihrer Inhalte (Doucet & Mauthner, 2013). Blum-Ross und Livingstone (2017) sprechen von digital storytelling: Eltern konstruieren online eine narrative Identität ihrer Familie – mit sich selbst als Erzähler:innen und ihren Kindern als Protagonist:innen.
Risiken der digitalen Sichtbarkeit für die Kinder
So persönlich Sharenting sein mag, es wirft erhebliche Fragen auf – vor allem im Hinblick auf Datenschutz, Kindeswohl und digitale Autonomie. Kinder erhalten durch das Verhalten ihrer Eltern oft eine digitale Identität, noch bevor sie sich selbst äussern können. Studien zeigen, dass dadurch sensible Informationen ungewollt öffentlich werden können – etwa Aufenthaltsorte, Routinen oder sogar gesundheitliche Details.
Diese digitalen Fussabdrücke sind nicht nur aus heutiger Sicht problematisch. Sie können langfristige Konsequenzen haben: von Cybermobbing über Identitätsdiebstahl bis hin zu Einschränkungen in späteren Lebensbereichen wie Beruf oder sozialen Beziehungen (Livingstone & Helsper, 2010). Darüber hinaus geraten grundlegende Rechte auf Privatsphäre und Selbstbestimmung ins Wanken – mit potenziellen Auswirkungen auf das Selbstbild und die psychosoziale Entwicklung der Kinder.
Die Forschung identifiziert dabei vier zentrale Risikofelder:
Privatsphäre-Verletzungen: Digitale Spuren ohne Einwilligung der Kinder
Identitätsdiebstahl: Kriminelle Nutzung geteilter Informationen
Cybermobbing und -grooming: Spätere Belästigung durch öffentlich zugängliche Inhalte
Mit dem Fortschritt generativer KI wird es für zudem für pädokriminelle Täter zunehmend einfacher, öffentlich zugängliche Kinderbilder für sexualisierte Zwecke zu manipulieren.
Wege zu einem bewussten Umgang
Wie kann Sharenting verantwortungsvoll gestaltet werden? Der Forschungsansatz des Mindful Sharenting bietet hier Orientierung. Er umfasst präventive Strategien wie:
Technische Schutzmassnahmen: Verpixeln von Gesichtern, keine Namensnennung, keine Standortdaten
Kommunikation mit dem Kind: Altersgerechte Einbindung in die Entscheidungsfindung
Reflexion der Motive: Bewusstes Abwägen zwischen Selbstdarstellung und Kinderwohl
Auch Plattformen stehen in der Verantwortung: Die Möglichkeit eines „Rechts auf Vergessen“ oder technische Funktionen zur Kontrolle der Sichtbarkeit könnten das Risiko senken. Darüber hinaus fordern Forschende ein verstärktes Augenmerk auf kriminologische Aspekte sozialer Plattformarchitekturen, um problematische Nutzungsmuster frühzeitig zu erkennen und zu unterbinden.
Quellen
Blum-Ross, A., & Livingstone, S. (2017). “Sharenting,” parent blogging, and the boundaries of the digital self. Popular Communication, 15(2), 110–125. https://doi.org/10.1080/15405702.2016.1223300
Doucet, A., & Mauthner, N. S. (2013). Tea and tupperware? Mommy blogging as care, work and consumption. In C. Rogers & S. Weller (Eds.), Critical approaches to care: Understanding caring relations, identities and cultures (pp. 92–104). Routledge.
Kopecky, K., Szotkowski, R., Aznar-Díaz, I., & Romero-Rodríguez, J. M. (2020). The phenomenon of sharenting and its risks in the online environment. Experiences from Czech Republic and Spain. Children and Youth Services Review, 110, 104812. https://doi.org/10.1016/j.childyouth.2020.104812
Livingstone, S., & Helsper, E. (2010). Balancing opportunities and risks in teenagers' use of the internet: The role of online skills and internet self-efficacy. New Media & Society, 12(2), 309–329. https://doi.org/10.1177/1461444809342697
Security.org. (2021). Parenting on social media: Survey report. Retrieved from https://www.security.org/digital-safety/parenting-social-media-report/
Tosuntaş, Ş. B., & Griffiths, M. D. (2024). Sharenting: A systematic review of the empirical literature. Journal of Family Theory & Review, 16(3), 525-562.
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